9. März
Von „La Bestia“ zur Hochgeschwindigkeitsbahn: Mexikos Eisenbahn-Renaissance erklärt
Von Niklas Martens
Seit Jahrzehnten sind Mexikos Eisenbahnen vor allem mit „La Bestia“ verbunden – dem Güterzug, der durch das Land in Richtung US-Grenze fährt. Dieser Zug, der Waren wie Zucker, Getreide und Zement transportiert, gilt für viele als letzte Chance, die Vereinigten Staaten zu erreichen, ohne für die Fahrt zu bezahlen. Ein europäischer Fernsehsender widmete ihm einst eine Dokumentation mit dem Titel „Heading North Through Mexico: The Train of Death ‘La Bestia’“.
Vorsichtig formuliert war das öffentliche Bild der mexikanischen Bahninfrastruktur bislang alles andere als positiv – oder man könnte sogar sagen: so gut wie nicht vorhanden. Mexiko ist ein vom Lkw- und Autoverkehr dominiertes Land, in dem Güter- und Personenbeförderung fast ausschließlich über das dichte Netz an Fernstraßen abgewickelt werden.
Doch das könnte sich bald ändern – wenn die ehrgeizigen Pläne des ehemaligen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) und der aktuellen Präsidentin Claudia Sheinbaum Wirklichkeit werden.
Ein Blick zurück in die Vergangenheit
Mexikos Eisenbahngeschichte begann in den 1850er-Jahren, als erstmals weitläufige Regionen miteinander verbunden wurden und dies erhebliches Wirtschaftswachstum auslöste. Unter der Diktatur von Porfirio Díaz (1876–1910) expandierte das Schienennetz rasant und wurde zu einer tragenden Säule für den Transport von Waren und Passagieren. Die Eisenbahn erreichte Gebiete, die auf dem Straßenweg nicht zugänglich waren, verband abgelegene Regionen mit städtischen Zentren und fungierte als Lebensader für Industrie und Gemeinden.
Mitte des 20. Jahrhunderts verlor die Eisenbahn jedoch an Bedeutung, da Automobile und der Ausbau der Straßeninfrastruktur zunehmend in den Vordergrund rückten. Die staatliche Bahngesellschaft Ferrocarriles Nacionales de México geriet bis in die 1990er-Jahre in schwere finanzielle Schwierigkeiten. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Benjamín Alemán machten Ineffizienz und hohe Betriebskosten das System untragbar, was letztlich zu einem Niedergang des Personenverkehrs führte.
1997 erfolgte die Privatisierung des mexikanischen Eisenbahnwesens. Der Staat behielt zwar das Eigentum an der Infrastruktur, vergab jedoch die Betriebsrechte an private Unternehmen. Dieser Schritt erhöhte die Effizienz und senkte die öffentlichen Kosten, führte aber auch dazu, dass der Fokus auf den profitableren Güterverkehr gelegt wurde. In der Folge verschwand der Passagierverkehr nahezu vollständig – seine gesellschaftliche Bedeutung wurde zugunsten wirtschaftlicher Rentabilität vernachlässigt.
Sheinbaums Vision und „Plan México“
Angesichts der zahlreichen Vorteile eines effizienten Eisenbahnsystems geht Mexikos designierte Präsidentin Claudia Sheinbaum mit Volldampf an eine ehrgeizige Modernisierungsoffensive heran. Mit dem Ziel, die Infrastruktur des Landes grundlegend zu transformieren, hat sie einen mutigen nationalen Entwicklungsplan vorgestellt, der 3.000 Kilometer neue Bahnstrecken sowie modernisierte Straßen vorsieht. Geplant ist der Bau neuer Eisenbahnverbindungen, die zentrale Städte – darunter wichtige Knotenpunkte wie Nogales, Nuevo Laredo und Querétaro – miteinander verknüpfen und so sowohl den Personen- als auch den Güterverkehr stärken. Mit diesen ambitionierten Projekten will Sheinbaum Mexikos Wirtschaft, Nachhaltigkeit und Konnektivität Schritt für Schritt auf ein neues Niveau heben.
Dieses Vorhaben ist Teil einer übergeordneten Vision – dem „Plan México“. Dabei handelt es sich um eine umfassende Strategie, die darauf abzielt, wirtschaftliches Wachstum zu fördern, Infrastruktur zu verbessern und soziale Entwicklung zu stärken. Im Mittelpunkt stehen großangelegte Investitionen in Verkehr, Energie und Industrie, um Mexiko als globales Handelsdrehkreuz zu positionieren. Die Eisenbahnoffensive spielt dabei eine Schlüsselrolle: Sie soll die logistische Effizienz verbessern und die Anbindung zwischen den wichtigsten Wirtschaftszentren erheblich ausbauen.
Als Teil dieser Vision will Sheinbaums Regierung neue Bahntrassen schaffen, die strategisch bedeutende Städte und Logistikknoten verbinden. Diese Projekte werden nicht nur die Transportkosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Handel erhöhen, sondern auch eine nachhaltigere Mobilität fördern.
Durch die Einbindung der Bahnprojekte in den „Plan México“ verfolgt Sheinbaum gleich mehrere Ziele: Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, Förderung von Nachhaltigkeit, Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Ausbau der regionalen Vernetzung. Mit dieser Initiative will Mexiko seine Rolle in der globalen Wirtschaft festigen – Schiene für Schiene – und gleichzeitig die Lebensqualität von Millionen Menschen verbessern.
Quelle: Obras por Expansión
Quelle: México Desconocido
Also … was ist konkret geplant?
Baubeginn für zwei große Bahnlinien: Mexiko–Querétaro und Mexiko–Pachuca
Im Rahmen der umfangreichen Infrastrukturpläne von Präsidentin Claudia Sheinbaum hat offiziell der Bau von zwei bedeutenden Intercity-Bahnlinien begonnen: Mexiko–Querétaro und Mexiko–Pachuca. Diese neuen Strecken, zusammen mit der geplanten Wiedereröffnung von drei weiteren wichtigen Routen – Mexiko–Veracruz, Mexiko–Nogales und Mexiko–Nuevo Laredo – bilden das Herzstück ihrer Verkehrspolitik.
„Diese Projekte sind das Fundament meiner Regierungsbemühungen zur Verbesserung der Infrastruktur“, erklärte Sheinbaum in ihrer Antrittsrede. „Der Personenzugverkehr, einst privatisiert, wird nun mit Stolz zurückgewonnen, da er für regionale Entwicklung, Beschäftigung, Tourismus und gemeinsamen Wohlstand steht.“
Für diese Bahnprojekte wurde zunächst eine Investition von 7,5 Milliarden USD (Brooks, 2024) bereitgestellt – ein klares Bekenntnis zum Ausbau des mexikanischen Verkehrsnetzes.
Südostliche Bahnstrecken
Fachleute betonen die vielfältigen Vorteile des Bahnverkehrs: hohe Transportkapazität, Sicherheit, geringere Umweltbelastung und höherer Reisekomfort im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln. Benjamín Alemán, Wirtschaftsprofessor und Berater der Eisenbahnindustrie bei ATTRAIN, weist jedoch auf die Bedeutung einer soliden Planung und ausreichender Finanzmittel nicht nur für den Bau, sondern auch für den langfristigen Betrieb hin.
„Aus Sicht der Mobilitäts- und Verkehrspolitik ist dies eine solide Investition“, erklärt Alemán. „Allerdings wird sie den Druck auf die öffentlichen Finanzen erhöhen, die bereits durch andere Prioritäten wie Gesundheit und öffentliche Sicherheit belastet sind.“
Zudem gibt es Bedenken hinsichtlich Transparenz und Umweltauswirkungen bei milliardenschweren Investitionen – insbesondere in Bezug auf den Tren Maya, der bereits in der Vergangenheit unter ökologischer und finanzieller Kritik stand.
Betrieb laufender Bahnprojekte
Eines der bekanntesten Infrastrukturprojekte der Amtszeit von Andrés Manuel López Obrador (2018–2024) war der Tren Maya, der die Halbinsel Yucatán per Schiene erschließen soll. Das Projekt sah sich unter anderem Umweltbedenken und Zweifeln an der Rentabilität gegenüber, angesichts der hohen Investitionssumme von rund 30 Milliarden USD für 1.500 Kilometer Strecke und touristische Entwicklungsvorhaben.
Der Maya-Zug nahm im Dezember den Betrieb auf und beförderte bis August bereits knapp 400.000 Fahrgäste – dennoch wird es voraussichtlich Jahre dauern, bis sich die Investition amortisiert.
Ebenfalls in dieser Zeit ging der Interurbane Zug Mexiko-Stadt–Toluca nach Verzögerungen und Kostenüberschreitungen in Teilbetrieb und transportierte seitdem 1,8 Millionen Passagiere, mit einer Kapazität von bis zu 230.000 Fahrgästen täglich.
Ein weiteres Projekt, der Interozeanische Zug zwischen Pazifik- und Golfküste, verzeichnet geringere Passagierzahlen, dient jedoch weiterhin auch dem Güterverkehr und wurde mit einer gemeinsamen Investition von 1 Milliarde USD umgesetzt.
Kommende Bahnprojekte
Der Ausbau des Vorortzugs von Mexiko-Stadt zum Flughafen Felipe Ángeles über eine 42 Kilometer lange Strecke – ebenfalls unter López Obrador gestartet – soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Präsidentin Sheinbaum knüpft an diese Ausbaupläne an und startete kurz nach Amtsantritt zwei bedeutende neue Intercity-Verbindungen:
Mexiko–Pachuca: rund 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt, als schnelle und bequeme Alternative zur Straße.
Mexiko–Querétaro: ein wichtiger Industrie- und Tourismusstandort; die Fahrzeit soll von über vier Stunden mit dem Auto auf rund zwei Stunden sinken.
Obwohl diese beiden neuen Linien zusammen weniger als 350 Kilometer umfassen, ist Sheinbaums Gesamtziel deutlich ambitionierter: 3.000 Kilometer neue Bahnprojekte bei einem Budget von 7,5 Milliarden USD – weit günstiger als der Tren Maya.
In weiteren Ausbaustufen sollen historische Strecken wie die Mexiko–Veracruz-Linie – die erste Personenbahn Mexikos aus den 1850er-Jahren – wiedereröffnet werden. Außerdem sind neue Verbindungen bis an die US-Grenze geplant, darunter Routen nach Guadalajara, Nogales, Monterrey und Nuevo Laredo.
„Die Erfahrung mit dem Tren Maya hat gezeigt, dass sich der Personenverkehr vor allem auf Zentral- und Nordmexiko konzentrieren sollte – wie es früher der Fall war“, sagt Andrés Lajous, Leiter der Regulierungsbehörde für den Schienenverkehr. „Hier befinden sich die größten Bevölkerungszentren und Wirtschaftsräume, in denen die Bahn eine effiziente, erschwingliche und komfortable Alternative zu Straße und Luft bieten kann.“.
Schlussfolgerung
Mexikos Eisenbahnsystem legt sein altes, raues Image als berüchtigte „La Bestia“ ab und richtet den Blick auf eine mutige, zukunftsweisende Entwicklung. Die Pläne zur Modernisierung der landesweiten Bahn sind ebenso ehrgeizig wie tiefgreifend – bringen jedoch auch erhebliche Risiken mit sich. Von der herausfordernden Geografie über die Nachwirkungen vergangener Unfälle bis hin zu finanziellen Hürden ist dies kein Projekt für Zögerliche. Doch mit der richtigen Mischung aus sorgfältiger Planung, transparenter Umsetzung und dem Vertrauen der Bevölkerung kann Mexiko seine straßengebundene Vergangenheit hinter sich lassen und zu einem Vorreiter im modernen Schienenverkehr werden.
Dennoch bleibt wichtig zu bedenken: Mexiko wird immer ein Land der Autos bleiben. Pkw und Flugzeuge gelten weiterhin als die praktischsten Fortbewegungsmittel. Die geplanten Bahnstrecken werden voraussichtlich vor allem die größten Wirtschaftszentren und Metropolen miteinander verbinden – den Kern eines stark zentralisierten Staates. Kleinere Städte und Regionen hingegen werden, bedingt durch die enorme Landesgröße sowie geografische und sicherheitstechnische Herausforderungen, weiterhin stark auf das Straßennetz angewiesen sein. Anders als in der Schweiz, wo nahezu jedes Dorf einen Bahnhof hat, bleibt diese Vision in Mexiko aufgrund von Ausmaßen, Logistik und Sicherheitslage ein fernes Ziel. So sehr sich der Bahnverkehr auch entwickeln mag – die Straßen werden auf absehbare Zeit das Rückgrat des mexikanischen Transportsystems bleiben.
Trotzdem zeichnet sich das künftige Bahnsystem als vielversprechende Alternative für den Transport von Personen und Gütern ab – mit dem Potenzial, die Art und Weise, wie Mexiko Menschen und Waren über sein riesiges Territorium bewegt, grundlegend zu verändern. Wenn die Pläne mit Umsicht umgesetzt werden, kann Mexiko langfristig ein stärker integriertes, effizienteres und nachhaltigeres Verkehrssystem schaffen – und damit einen entscheidenden Schritt in Richtung moderner Mobilität gehen.
Referenzen:
Brooks, D. (2024, 21. November). Trenes en México:
la enorme apuesta del país por el regreso del transporte ferroviario para potenciar su economía. BBC News Mundo. https://www.bbc.com/mundo/articles/cx2yp8443l5o
Galván, M. (2024, 11. Juli). Conoce todas las rutas de trenes que Claudia Sheinbaum busca construir en su sexenio. El Universal. https://www.eluniversal.com.mx/cartera/conoce-todas-las-rutas-de-trenes-que-claudia-sheinbaum-busca-construir-en-su-sexenio/
El Insurgente: el tren interurbano que Sheinbaum hereda de AMLO y EPN aumentó su costo en 87 mmdp. (2024, 26. August). Animal Politico. https://animalpolitico.com/politica/tren-interurbano-insurgente-amlo-pena-sheinbaum-costo
Nieto, O. B., Nieto, O. B. & Nieto, O. B. (2023, 5. Dezember). Trenes de pasajeros en México: rutas y Estados con proyectos ferroviarios para 2024. El País México. https://elpais.com/mexico/2023-11-29/trenes-de-pasajeros-en-mexico-rutas-y-estados-con-proyectos-ferroviarios-para-2024.html
El presidente de México establece una agenda audaz para transformar la movilidad y la infraestructura. (2024, 28. Oktober). Intertraffic. https://www.intertraffic.com/news/espanol/el-presidente-de-mexico-establece-una-agenda-audaz
Del Toro, E. (2024, 8. März). Estas son las propuestas de Claudia Sheinbaum para el sector ferroviario. T21. https://t21.com.mx/estas-son-las-propuestas-de-claudia-sheinbaum-para-el-sector-ferroviario/